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ICH ÜBER
MICH
Selbstverständlich bin ich ein Dorfkind.
Aber nicht ein normales, sondern ein zugezogenes.
Das war eine feststehende Kategorie! In einer
Welt, die sich aus knapp 2000 Mitmenschen und
den Dorfgrenzen darum definiert, ist das auf jeden
Fall ein nicht wieder gut zu machender Makel.
Ich war nicht nur zugezogen, sondern auch noch
Mitglied einer Familie ohne Wohneigentum. In unserer
Straße wohnten nur Zugezogene und es gab
gar keine Bäume dort. Alles war zugepflastert.
Schick und steril, ein echtes Neubaugebiet. Über
die Dorfgrenzen hinweg wurde selten geheiratet
(obwohl im Nachbardorf eindeutig die besseren
Männer wohnten). Es gab drei (!) konkurrierende
Männergesangsvereine: die Harmonie, den Sängerbund
und die Spatzen für die Jungsänger.
Jeder Verein hatte einen Vorsitzenden mit häufig
gerötetem Gesicht. Und alle Vorsitzenden
hießen Schlömer! Mein Vater hatte einen
angenehmen Bariton und wurde vom Sängerbund
angeheuert. Das bedeutete selbstverständlich
ewige Abneigung seitens der Harmonie-Mitglieder
und deren Familien. Weil aber Doppelmitgliedschaften
nicht zugelassen waren, noch nicht einmal als
passives, einfach nur zahlendes Vereinsmitglied,
musste unsere Familie damit leben. Um diesen und
anderen Komplikationen zu entgehen, habe ich schließlich
einen Mann aus einem ganz anderen Dorf geheiratet.
Der kann überhaupt nicht singen. |
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